Russland

Die erschreckende Warnung eines Donbass-Offiziers davor, wohin der Ukraine-Konflikt führen könnte

Ein Akademiker, der zum Kämpfer in der Miliz der Volksrepublik Donezk geworden ist, glaubt, dass diejenigen, die meinen, dass die Kampfhandlungen eingedämmt werden können, falsch liegen. Dieser Konflikt sei endgültig und absolut.
Die erschreckende Warnung eines Donbass-Offiziers davor, wohin der Ukraine-Konflikt führen könnteQuelle: Sputnik

Von Andrei Korobow-Latintsew

Für einen Philosophen ist der militärische Pfad – der Pfad des Krieges – etwas ganz natürliches. In Wirklichkeit ist ein Intellektueller immer in einen ähnlichen Prozess verwickelt – in den Konflikt der Ideen. Er versteht, dass der Krieg der Urvater aller Dinge ist, und da er nach dem Ursprung von allem sucht, ist es natürlich, sich dem Krieg zuzuwenden, sowohl als Thema als auch als Element des Existentialismus. Natürlich ist es für mich auch eine große Ehre, Teil der Streitkräfte von Noworossija und der Volksrepublik Donezk zu sein.

Vor dem Beginn der Militäroperation in der Ukraine im vergangenen Jahr, bevor sich die neuen Realitäten zum ersten Mal in großem Umfang manifestierten, gab es viele theoretische Diskussionen über den Krieg. Es gibt im Militär eine Weisheit die besagt, dass Generäle sich immer auf den Krieg vorbereiten, der gerade zu Ende gegangen ist. In gewisser Weise wusste also niemand, wie der Krieg aussehen würde. Natürlich bietet die Robotisierung neuartige Kampf- und Kriegsmittel. Dies betrifft insbesondere Drohnen, die Aufklärungsfähigkeiten und die Reichweite der Waffen.

In existenzieller Hinsicht funktioniert der Krieg jedoch nicht wie im populären Videogame "Fallout". Wie der deutsche Militärtheoretiker Carl von Clausewitz einst festhielt, ist der Krieg ein Chamäleon. Sein äußeres Erscheinungsbild ändert sich ständig, aber sein innerer Kern und seine Essenz bleiben stets gleich. Krieg bedeutet immer Risiko und berührt Fragen wie Tod, Sieg und Niederlage. Diese Schlüsselfaktoren wandeln sich nie.

Tatsächlich stehen modernen Soldaten mehr technische Mittel zur Verfügung, um den Feind zu töten, aber das Risiko bleibt dasselbe wie bisher. Auch die existentielle Dimension des Krieges ändert sich nicht. Selbst wenn es eines Tages keine menschlichen Kämpfer mehr auf dem Schlachtfeld geben wird und nur noch Drohnen gegeneinander kämpfen werden, wird der Krieg seine Essenz behalten, weil er immer das Risiko einer Niederlage mit sich bringt.

Die "Theorie des gerechten Krieges" ist uralt. Eine Reihe von Forschern schreiben sie Platon zu, und sie wurde formell von Cicero im alten Rom etabliert. Die Schlüsselfrage, die von der Theorie des gerechten Krieges gestellt wird, ist, wie man die Realität des Krieges mit hohen moralischen Ansprüchen und sogar religiösen Geboten in Einklang bringt, wie es der heilige Augustinus und Thomas von Aquin versuchten. Die Theorie selbst geht von einfachen Annahmen aus, welche Kriterien ein Krieg erfüllen muss, um als "gerecht" zu gelten.

Zunächst gilt ein Krieg als gerecht, wenn er einen gerechten Grund hat. Nehmen wir an, Sie wurden angegriffen und verteidigen Ihr Land – dieses Motiv rechtfertigt den Krieg perfekt. Dieses Kriterium wird von Cicero angegeben und von allen Philosophen wiederholt. Aber das ist nicht genug. Schließlich kann man berechtigte Gründe haben, einen Krieg zu beginnen, ihn dann aber ungerecht führen. An dieser Stelle wird zwischen "jus ad bellum" – das Recht auf Krieg – und "jus in bello" – das Recht im Krieg – unterschieden. Beispiele für eine gerechte Kriegsführung sind das Nichttöten von Zivilisten, also unbewaffneten Menschen, die nicht am Krieg beteiligt sind, und das Folterverbot bei Kriegsgefangenen. Mit anderen Worten, nichts von dem tun, was die heutigen ukrainischen Streitkräfte tun.

Darüber hinaus gibt es ein weiteres Kriterium, das im 20. Jahrhundert auftauchte. Es heißt "jus post bellum" – das Recht nach dem Krieg. Das bedeutet, dass die Welt nach dem Krieg besser sein sollte als die Welt vor dem Krieg. Nehmen wir an, ein Land ist mit dem bestehenden Status quo nicht zufrieden und beginnt einen Krieg. Im Jahr 2003 zum Beispiel sagten die Amerikaner, sie würden sich Sorgen machen über Massenvernichtungswaffen im Irak. Washington marschierte ein, stürzte den Feind in die Hölle und glaubte, dass das Ergebnis dieses Krieges besser sei, als die Bedingungen vor dem Einmarsch. Die von westlichen Ländern in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts begonnenen Kriege fallen im Hinblick auf das "jus post bellum"-Kriterium durchweg durch. Man wird so gut wie keinen Fall finden, der in diese Theorie eines gerechten Krieges passt.

Die Antwort darauf, wie sich das Konzept des gerechten Krieges entwickelt hat, ist, dass eine Art philosophischer Niedergang stattgefunden hat. Von einem unabhängigen, philosophischen Phänomen ist die Theorie des gerechten Krieges zu einem Diener geworden – nicht nur der Politik, sondern der aggressiven westlichen globalistischen Agenda. Heute bedient diese Theorie einfach die Interessen des kollektiven Westens. Beispielsweise kann sie leicht auf Russlands Operation in der Ukraine angewendet werden. Aber wir sehen, dass der Westen unsere Vision nicht teilen will.

Ein weiterer wichtiger Faktor ist, dass die Theorie des gerechten Krieges keine philosophische Frage mehr ist, sondern eine juristische. Gerechtigkeit ist schließlich ein ethisches Kriterium, aber die Theorie des gerechten Krieges ist im Wesentlichen eine "legale" Theorie des Krieges. Wenn wir uns die Zeit nehmen, die modernen Theoretiker des gerechten Krieges zu lesen, werden wir feststellen, dass sie sich hauptsächlich mit rechtlichen und nicht mit ethischen Fragen befassen. Sie geben den Protagonisten eine Reihe von Regeln, denen sie folgen müssen. Aber diese Regeln können auf alles andere angewendet werden, sogar auf das Geschäftsleben. Diese Theoretiker kümmern sich nicht um den Krieg als solchen – seine moralische Bedeutung, Ethik, Metaphysik oder Ontologie. Zu meinem persönlichen Kummer als Philosoph übersehen sie all diese Punkte.

Heute ist die Frage nach einem gerechten Krieg zur Hauptfrage der gesamten Kriegsphilosophie geworden. Niemand achtet auf die wesentlichen Merkmale.

Die Einstellung zu Konflikten als natürlichem Lauf der Dinge begann sich nach dem Ersten Weltkrieg zu ändern. Dieser Konflikt beendete eine historische Ära, die wir die Moderne nennen. Die Grundannahmen und Dogmen der Moderne, wie Humanismus und Rationalismus, brachen damals zusammen. Der Mensch wurde nicht mehr als Gipfel der Zivilisation angesehen, sondern nur noch zu einem Mittel, und dieses "Mittel" wurde massenhaft zum Sterben auf die Schlachtfelder geschickt. Es wurde offensichtlich, dass die Vernunft die Menschheit nicht in eine glänzende Zukunft führen wird, was wiederum zum Zusammenbruch des Rationalismus führte. Wie der russische Schriftsteller Fjodor Dostojewski einst festhielt, ist die Vernunft ein Schurke, die den Menschen hilft, Konzentrationslager zu errichten und Maschinen zu bauen, um ihre eigene Spezies in beispiellosem Ausmaß zu töten.

Der Zweite Weltkrieg hat dieses Übel so weit ausgedehnt, dass es in kein ethisches System mehr passte. Deshalb fragte sich der Philosoph Theodor Adorno, ob Poesie nach Auschwitz noch möglich sei. Sicherlich ist es physikalisch möglich, aber die Frage impliziert, dass ein riesiges Problem besteht, das Böse in der neuen Realität zu verstehen. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Menschen durch das Ausmaß menschlicher Verluste und das Ausmaß des Bösen schwer traumatisiert. Deshalb wurden Kriege nach 1945 nicht formell erklärt. Im rechtlichen Sinne gab es keine Kriege mehr, es gab nur noch "militärische Operationen", "kriegerische Konflikte" und so weiter.

Ich glaube, wir nähern uns allmählich der heißen Phase eines neuen globalen Konflikts, der zu einem Zusammenstoß ganzer Armeen führen wird, wie wir es jetzt in der Ukraine erleben. Leider kehren wir zur früheren Definition von Krieg zurück – ein Krieg der Völker, ein Kampf der Kulturen. Jenseits des trägen hybriden Formats entwickelt sich der Krieg zu einem globalen Konflikt, an dem viele Parteien beteiligt sind. Das ist die Richtung, in die wir gehen, und ich sehe bisher keine Voraussetzungen für eine Umkehr.

Einerseits rückten die Menschen ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts enger zusammen, sie wollten sich für ihr gemeinsames Schicksal verantwortlich fühlen. Aber von welcher Einheit sprechen wir andererseits, wenn der britische Premierminister Winston Churchill bereits 1946 in seiner Rede in Fulton den Kalten Krieg ausrief? Unmittelbar nach der Unterzeichnung der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands, begannen die ehemaligen Verbündeten mit der Planung von Militäraktionen gegen die UdSSR. Es ist angemessener zu sagen, dass der Krieg nie endet, er nimmt nur neue Formen an.

In gewisser Weise war der Kalte Krieg jedoch eine Zeit der Entspannung nach den traumatischen Erfahrungen der Menschheit im Zweiten Weltkrieg. Das mag wie Blasphemie klingen, aber während des Kalten Krieges suchten die Führer der Welt nach zivilisierteren Methoden der Konfrontation, während diese Methoden heute nicht mehr funktionieren und der Krieg total und allumfassend geworden ist. Es ist in erster Linie ein Krieg der Ideen. Solange es widersprüchliche Vorstellungen gibt, kann dieser Krieg nicht enden.

Die Ontologie – die Lehre des Seins – geht davon aus, dass es Kriege geben wird, solange es Ideen gibt. Wenn es Ideen gibt, gibt es auch Konflikte. Solange es einen Widerspruch in der platonischen Ideenwelt gibt und es Menschen gibt, die bereit sind, ihre Ideen zu verteidigen, für sie zu töten und zu sterben, wird es Kriege geben. Ende des 20. Jahrhunderts glaubte der Philosoph Francis Fukuyama, dass die Menschheit bereit sei, in ein friedliches Zusammenleben einzutreten, da der Sieg einer Idee über eine andere endlich stattgefunden habe. Nur ein Sieger blieb, es gab niemanden mehr, mit dem man kämpfen konnte.

Versöhnung ist das, was in der klassischen Kriegsführung passiert. Der Krieg endet mit einer Einigung. Ich würde gerne glauben, dass es noch Verhandlungsspielraum gibt, aber die Erfahrung zeigt, dass der Westen heute einfach nicht auf der Höhe ist. Carl Schmitt, der deutsche Staatsrechtler und politische Philosoph, definierte den Begriff "absoluter Feind". Dies ist ein Feind, mit dem man nicht verhandeln kann, da er nur ein Ziel hat: die totale Vernichtung des Gegners. Nicht unbedingt die physische Vernichtung, sondern in erster Linie die Zerstörung der Identität des Gegners. Wenn es möglich ist, mit einem solchen Feind ein Abkommen zu schließen, wird es sehr kurzlebig sein und man wird sehr bald enttäuscht sein. Der absolute Feind ist nicht dialogfähig, da er keinen Sinn darin sieht.

Heute sieht der Westen keinen Sinn darin, mit Russland zu verhandeln. Westliche Eliten glauben, dass ihre Wahrheit absolut und nicht verhandelbar ist. In gewisser Weise ist dies eine einzigartige Situation, wie wir sie in der Menschheitsgeschichte noch nicht erlebt haben. Dieser Konflikt ist endgültig und absolut und hat einen starken endzeitlichen Hintergrund. Dies ist ein Krieg der Ideen und nur Ideen werden in diesem Krieg gewinnen.

Aus dem Englischen

Andrei Korobow-Latintsew ist ein Offizier der Volksmiliz der Volksrepublik Donezk

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