Meinung

Deutschland wählt genderfrei

Die Landtagswahlen in Bayern und Hessen stellen sicherlich keinen Trend für Deutschland insgesamt dar und schon gar nicht für die Bundestagswahlen in zwei Jahren. Trotzdem standen weniger die Landesthemen im Vordergrund als die Abrechnung mit der Ampel-Regierung in Berlin. Was sagen die Ergebnisse über die Stimmung im Lande aus?
Deutschland wählt genderfrei© Stefan F. Sämmer via www.imago-i

Von Rüdiger Rauls

Rechts gewinnt

Was heute rechts und links ist, ist beliebig geworden und mehr von den Launen derer abhängig, die diese Begriffe als Keule verwenden. Politische Aussagen sind damit kaum noch in Verbindung zu bringen. Aber eindeutig ist, dass bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen jene Parteien dazu gewonnen haben, die im weitesten Sinne als rechts bezeichnet werden – rechts von der Mitte bis rechtsextrem.

Im rechten Lager sind die Stimmenzuwächse bei der Alternative für Deutschland (AfD) eindeutig. Sie legte in Bayern von 10,2 Prozent im Jahre 2018 auf derzeit 14,6 Prozent zu, in Hessen von 13,1 Prozent auf 18,4 Prozent in diesem Jahr. Ein gemischtes Bild in diesem Lager gibt die CDU/CSU ab. Während sie in Hessen von 27 Prozent im Jahr 2018 auf aktuelle 34,6 Prozent stieg, musste sie in Bayern sogar einen leichten Verlust von 37,2 Prozent auf 37,0 Prozent hinnehmen. Dagegen stiegen aber die Freien Wähler in Bayern um 4,2 Prozentpunkte von 11,6 Prozent auf 15,8 Prozent.

Man kann also sagen, dass das rechte Lager insgesamt gegenüber dem als links bezeichneten aus Grünen, SPD und der Partei Die Linke starke Zuwächse von um die zehn Prozent zu verzeichnen hatte. Außergewöhnlich ist, dass CDU-Mann Rhein als Amtsinhaber in Hessen einen sehr großen Stimmenzuwachs erfuhr, während sein Kollege in Bayern, der CSU-Mann Söder, gegen den Trend sogar einen leichten Abschlag hinnehmen musste. Die Theorie vom Amtsinhaber-Bonus scheint sich also in Bayern nicht bewahrheitet zu haben. Dort kam der Zuwachs gerade nicht dem Amtsinhaber zugute, sondern seinem Stellvertreter Hubert Aiwanger von den Freien Wählern.

Die Statistik der Wählerwanderung zeigt, dass die AfD in Hessen und in Bayern Netto-Zuwächse vonseiten aller Parteien verzeichnen konnte. In Bayern aber war die Abwanderung von der CSU zur AfD mit 80.000 Stimmen mehr als viermal so hoch wie in Hessen mit 17.000. Da sich der Rechtstrend in Hessen in einem starken Stimmenzuwachs für die CDU und AfD bemerkbar machte, stellt sich die Frage, weshalb in Bayern neben der AfD nicht die CSU, sondern die Freien Wähler von diesem Trend profitierten.

Der Unterschied zu Hessen besteht in der Flugblatt-Kampagne jener Kräfte, für die der Kampf gegen Rechts alle anderen Themen des Wahlkampfes überlagerte. Diese Kampagne von SPD, Grünen und der Linkspartei hatte aber schon vor der Wahl gerade nicht zu dem gewünschten Ergebnis geführt. Statt Aiwangers Ansehen in der Wählergunst zu untergraben, hatte dieser vielmehr sehr viel Solidarität aus der Bevölkerung erhalten; CSU-Mann Söder verhielt sich abwartend.

Die Bevölkerung bewertete Aiwangers Auftreten positiver als das von Söder und erst recht jenes der Initiatoren der Kampagne. Das Flugblatt, das Anlass der Kampagne gewesen war und nicht einmal aus Aiwangers Feder stammte, sondern aus der seines Bruders, hatte er als die Dummheit eines Jugendlichen bezeichnet. Er distanzierte sich von seinem damaligen Denken als unreifer Mensch  – nicht nur politisch. Heute denke er ganz anders. Das war für die meisten Menschen nachvollziehbar. Welcher erwachsene und sich erwachsen verhaltende Mensch weiß nicht um eigene Verfehlungen in jungen Jahren, die man im fortgeschrittenen Alter bereut.

Gegen Rechts

Aiwanger ging nicht in Sack und Asche. Das kam in der Öffentlichkeit besser an als Söders Taktieren und noch besser als das Denunziantentum der Urheber der Kampagne. "Aiwanger ist an der Wahlurne dafür belohnt worden, sich nicht dem Druck gebeugt zu haben, der ihn zum Rücktritt zwingen wollte. Söders Krisenmanagement bekam weniger Applaus", schrieb die FAZ.  Seine Umfragewerte und die seiner Freien Wähler waren sprunghaft angestiegen und haben sich weitestgehend gehalten bis zum Wahltag.

Weiten Teilen der Bevölkerung hat es gefallen, dass er Rückgrat gezeigt hatte. Im Gegensatz zu so manchen Mediengästen hatte er nicht unterwürfig um Verzeihung gebettelt, wenn mal nicht hundertprozentig die geltenden Sprachregelungen und Sichtweisen getroffen worden waren. Er hat jenen die Stirn geboten, die ihre Hinterhalte in der Anonymität des Internets aufstellen.

Die meisten Menschen, wenn sie nicht gerade zu den Sensationslüsternen gehören, sind mittlerweile der inflationären moralinsauren Hetze und Nazi-Vorwürfe überdrüssig. Sie sind es leid, dass eine selbstgerechte, aber anonyme Moralelite abweichende Meinungen als rechts bezeichnet und auf oftmals haltlosen oder unbewiesenen Behauptungen Kampagnen aufbaut zur Verunglimpfung Andersdenkender.

So war auch von Grünen, Teilen der SPD und der Linkspartei im Vorwahlkampf besonders in Bayern nicht der Kampf gegen Preissteigerungen, Wohnungsnot und andere Themen, die großen Einfluss auf den Alltag der Menschen haben, auf den Schild gehoben worden, sondern der Kampf gegen Rechts. Und rechts ist, wer nach deren Sicht den Klimawandel leugnet, homophob, sexistisch, ausländerfeindlich oder sonst politisch nicht korrekt ist.

Dabei maßen sich diese politischen Kräfte an, festzulegen, auf wen diese Merkmale zutreffen. Diese Kainsmale jener Kämpfer gegen jegliche Form der Diskriminierung gelten vornehmlich dem alten weißen Mann. Im Namen der Toleranz gibt man sich ihm gegenüber höchst intolerant. Statt Diskriminierung abzuschaffen, wird sie auf eine neue gesellschaftliche Gruppe gelenkt. Und zu wem hätte dieser feministische Kampfbegriff besser gepasst als zu Hubert Aiwanger?

Söder in Bayern und Rhein in Hessen taugten nicht zum Feindbild, denn entweder stand man mit ihnen in Koalition oder aber hoffte auf Koalitionen nach der Wahl. Ob das bewusst geschah, kann nicht gesagt werden, würde aber der Logik der moralischen Empörung zum eigenen Vorteil entsprechen. Politisch ging es in Bayern darum, die Freien Wähler als Rivalen im Rennen um die Koalitionspartnerschaft mit der CSU auszuschalten.

Verzockt

Diese Haltung von Anmaßung und Selbstgerechtigkeit gegenüber Andersdenkenden und Andersartigen findet ihren deutlich wahrnehmbaren Ausdruck im Gendern. Es ist der akustische Überlegenheitsanspruch jener gesellschaftlichen Kreise, die sich als woke betrachten, als Erwachte, im Gegensatz zu jenem deutschen Michel und den Schlafschafen, über die man glaubt, sich erheben und sie verächtlich machen zu dürfen.

In der Wahrnehmung der meisten Menschen ist das Gendern politisch verbunden mit den Grünen, Teilen der SPD und vor allem der Partei die Linke, also jenes Milieus, das sich hauptsächlich aus besserverdienendem Mittelstand und Intellektuellen zusammensetzt. Sie stehen für Bevormundung und für eine ideologisch getriebene Rechthaberei. Auffällig ist, dass es gerade jene genderbewegten Parteien waren, die am meisten bei den Wahlen in Hessen und Bayern hatten bluten müssen.

Diese politischen Kräfte hatten geglaubt, mit der Vergangenheit Aiwangers und der allgemeinen Ächtung von allem, was sie als rechts brandmarken, sich bei den Wählern Vorteile verschaffen zu können. Sie glaubten, dass der gesellschaftlichen Mehrheit der Kampf gegen Rechts genauso wichtig ist wie ihnen selbst. Sie waren fest davon überzeugt, damit die Stimmung in der Gesellschaft richtig zu deuten, und dass diese Stimmung in der Gesellschaft dieselbe ist wie in ihrer eigenen Blase.

Sie waren Opfer ihrer Realitätsferne geworden. Sie halten es für Zustimmung, wenn ihnen in ihrer Rechthaberei niemand mehr widerspricht und deuten dieses Schweigen als erfolgreiche Überzeugungsarbeit. Sie halten sich selbst für die "wahren Demokraten" und glauben, dass die Wähler mit ihnen darin übereinstimmen. Aber die Wahlergebnisse haben etwas anderes gezeigt. Sie selbst sind die Isolierten und nicht jene, die in ihren Augen rechts sind. Die Mehrheit der Wähler lehnt solche Kräfte als ihre Vertreter ab.

Wahlergebnisse werden nicht allein durch politische Themen und Sichtweisen bestimmt. Die Einstellungen gesellschaftlicher Milieus und deren Kultur spielen eine bedeutende Rolle. Das Gendern ist den meisten Menschen unsympathisch, denn unterschwellig werden zwei Botschaften mit vermittelt: "Wir haben das höhere Bildungsniveau, und wir sind die Guten." Das stößt bei vielen Menschen auf Ablehnung. Die politische Reaktion auf diese Botschaften ist nicht immer bewusstes Verhalten, sondern oftmals Ausdruck von Unbehagen.

Dass die genderfreundlichen Parteien durchgefallen sind, bedeutet nicht, dass sie wegen des Genderns verloren haben. Es spricht aber für diesen Zusammenhang, dass gerade die politisch weitgehend bedeutungslose Linkspartei, die sich sogar als Speerspitze dieser Bewegung versteht, erheblich Federn lassen musste und in keinen Landtag einzog. Das Gendern selbst hatte vermutlich nur unbewusst Einfluss auf die Wahlentscheidung. Aber die Übereinstimmung zwischen den entsprechenden Parteien, ihrer Nähe zu diesem Milieu und ihren Wahlergebnissen ist groß.

Katzenjammer

In erster Linie haben Wahlniederlagen natürlich mit Politik zu tun. Das erklärt die Verluste der FDP, die zwar nicht dem gendernden Milieu angehört, auch nicht als Zuchtmeister auftritt, sondern sogar eher demütig. Aber auch sie wird als mitverantwortlich gesehen für die schlechte Regierungsarbeit und fällt deshalb ebenso ab wie die anderen. Mit gehangen, mit gefangen!

Nun sind alle Verlierer der Wahl in heller Aufregung, wie der Zuwachs der AfD zu erklären und – vor allem – wie er aufzuhalten ist. Unfähig zu tiefgreifender Analyse, verfällt man auf das Naheliegende, die Migrationspolitik. Daraus erklärt man deren Zuwächse. Aber liegt die Ursache der Verluste und der nachlassenden Bindungskraft wirklich in der Zunahme rechten Gedankenguts? Eine Untersuchung des Instituts für Demoskopie Allensbach kommt zu einem anderen Ergebnis: "Ausgeprägte rechte oder rechtsextreme Einstellungen haben … seit 2016 nicht zugenommen. Verstärkt habe sich dagegen die Bindekraft der AfD in diesem Milieu", so die FAZ.

Demgegenüber legt die Studie "Die Ängste der Deutschen 2023", die von der R+V-Versicherung bei der Philipps-Universität Marburg in Auftrag gegeben worden war, andere Hintergründe offen. "Die Angst vor steigenden Lebenshaltungskosten landete schon im vergangenen Jahr auf dem ersten Platz; in diesem Jahr wurde sie von zwei Dritteln der Deutschen geteilt" und 60 Prozent der Deutschen sorgen sich um bezahlbaren Wohnraum. Die Angst, "dass die Zahl der Geflüchteten die Deutschen und ihre Behörden überfordere", legte um elf Prozentpunkte auf 56 Prozent zu und stieg im Vergleich zum Vorjahr am deutlichsten. Aber entgegen dem Eindruck, den Medien und Politik vermitteln, ist sie nur die viertgrößte Angst im Lande.

Statt aber den wirklichen Ängsten der Menschen, um ihre Lebensgrundlagen und Wohnsituation zu begegnen, glaubt man beim Wahlvolk wieder punkten zu können, wenn man in der Asyl-Politik bei der AfD abschreibt. Es scheint also weniger die um die Lebensverhältnisse der Menschen zu gehen als vielmehr darum, das Wählerreservoir der AfD auszutrocknen. Damit erkennt man jedoch die Kritik der AfD an der Migrationspolitik im Nachhinein an und macht sie erst recht salonfähig.

Der Erfolg eines solchen politischen Schwenks ist fraglich. Denn die Ursachen liegen tiefer. Aufgrund der Coronapolitik und besonders der folgenschweren Sanktionen gegenüber Russland mit Energieknappheit und steigenden Preisen haben immer mehr Menschen das Vertrauen in die westlichen Werte und die Segnungen der Demokratie verloren. Viele dieser Werte haben sich als Zerrbilder erwiesen und viele haben die Erfahrung gemacht, dass mit Beschimpfungen und Herabsetzung rechnen muss, wer gegen die herrschenden Ansichten verstößt.

So ziehen sich immer mehr Menschen aus der öffentlichen Debatte zurück. Sie sind es leid, dass ihre Ansichten als rechtes Gedankengut dargestellt und verunglimpft werden. Mit Intoleranz aber kann man niemanden überzeugen, zumal wenn man immer Toleranz predigt. Wer die Menschen gewinnen will, muss überzeugende Sichtweisen für die Vorgänge in der Welt vortragen und Zweifel daran zulassen können.

Das gelingt den meisten Parteien und ihren Vertretern nicht mehr. Ihre Erklärungen sind oberflächlich und platt; dringen nicht vor in die tiefen Verästelungen gesellschaftlicher Entwicklung. Ihre Weltbilder erklären die Welt nicht mehr. Sie sind darauf angewiesen, dass man ihnen Glauben schenkt. Sie verfügen zwar über die politische Macht, aber nicht mehr über die Macht der klaren Gedanken und überzeugenden Ansichten.

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