Meinung

US-Strafgefangene könnten bald ihre Organe gegen Freiheit eintauschen

Ein Gesetzesvorschlag im US-Bundesstaat Massachusetts könnte dazu führen, dass Strafgefangene im Gegenzug für Straferlass eine gravierende Entscheidung treffen dürfen. Ein weiteres Kapitel der Horrorgeschichte namens Spätkapitalismus?
US-Strafgefangene könnten bald ihre Organe gegen Freiheit eintauschenQuelle: Gettyimages.ru © shapecharge / Getty Images

Von Bradley Blankenship

Gesetzgeber quer durch die Vereinigten Staaten beobachten gespannt die Entwicklungen rund um einen Gesetzesvorschlag im US-Bundesstaat Massachusetts, mit dem es Strafgefangenen ermöglicht werden soll, ihre Gefängnisstrafe um bis zu ein Jahr zu verkürzen – wenn sie ihre Organe spenden.

Berichten zufolge würde das Gesetz HD.3822 – das sogenannte "Gesetz zur Einrichtung eines individuellen Knochenmark- und Organspendeprogramms für Inhaftierte in Massachusetts" – es den teilnehmenden Gefangenen ermöglichen, einen Straferlass von mindestens 60 Tage und bis zu einem Jahr zu erhalten. Der Antrag würde in einer speziellen Anhörung geprüft, auf der Grundlage ähnlicher Anhörungen bei Anträgen auf Bewährung bei "gutem Benehmen".

Vampir-Version des Kapitalismus

Das Gesetz würde jedoch auch zu mehrfachen Organspenden ermutigen, und da sich in den USA die Gefängnispopulation überproportional aus Minderheiten und Geringverdienern zusammensetzt, zeigen sich hier Ähnlichkeiten mit dem Programm für Blut- und Plasmaspenden. Dieses Programm zielt auf Geringverdiener und Studenten ab, wobei man sie ermutigt, Blut konsequent bei gewinnorientierten Blutspendezentren zu spenden – effektiv eine Art Vampir-Version des Kapitalismus.

In einem Artikel aus dem Jahr 2019 mit dem Titel "Harvesting the Blood of America's Poor: The Latest Stage of Capitalism" (Den Armen Amerikas das Blut abpumpen: Die neuste Stufe des Kapitalismus), stellte Alan MacLeod fest, dass "rund 130 Millionen Amerikaner angeben, sie seien nicht in der Lage, für Grundbedürfnisse wie Essen, Wohnen oder Gesundheitsversorgung aufzukommen. Der Kauf und Verkauf von Blut gehört zu den wenigen boomenden Industriezweigen, die in Amerika noch übrig geblieben sind." Und er schrieb weiter:

"Die Zahl der Blutspendezentren in den Vereinigten Staaten hat sich seit 2005 mehr als verdoppelt, und Blut macht jetzt wertmäßig weit über zwei Prozent der gesamten US-Exporte aus. Um das ins rechte Licht zu rücken: Das Blut der Amerikaner ist heute mehr wert als alle exportierten Mais- oder Sojaprodukte, die in weiten Teilen des Kernlandes der USA angebaut werden."

Deutschland kauft 15 % aller US-Blutexporte

Laut MacLeod "liefern die USA ganze 70 Prozent des weltweiten Blutplasmas – hauptsächlich, weil die meisten Staaten diese Praxis aus ethischen und medizinischen Gründen verboten haben. Die Exporte stiegen zwischen 2016 und 2017 um über 13 Prozent auf 28,6 Milliarden US-Dollar, und der Plasma-Markt soll laut einem Branchenbericht 'ungebremst wachsen'. Der Großteil des Plasmas geht in wohlhabende europäische Länder. Deutschland beispielsweise kauft 15 Prozent aller US-Blutexporte. Auch China und Japan sind wichtige Kunden."

Aber Menschen mit niedrigem Einkommen, die Blut für Geld spenden, sind eine ganz andere Nummer als Strafgefangene, die buchstäblich ihre Organe für die Freiheit hergeben. Der wichtigste Unterschied besteht darin, dass die Organspenden von Gefangenen aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung erfolgen. Die US-Verfassung verbietet zwar die "grausame und ungewöhnliche Bestrafung" von Verurteilten und man könnte argumentieren, dass dieser Grundsatz den besagten Gesetzesvorschlag verfassungswidrig macht. Aber die Art und Weise, wie er formuliert ist, bedeutet, dass der Organ-für-Freiheit-Handel technisch gesehen keine Bestrafung ist – sondern einfach ein auf Freiwilligkeit basierendes System, mit dem das tatsächliche Strafmaß eines Verurteilten gemindert werden kann. Weder ist es unbedingt grausam, da ein Mensch auch mit einer Niere ein normales Alltagsleben führen kann, noch ist es ungewöhnlich, weil gesunde und nicht straffällig gewordene Menschen ebenfalls Organe spenden.

Die Vereinigten Staaten haben die Sklaverei als eine Form der Bestrafung in ihrer Verfassung kodifiziert, und zwar über den 13. Zusatzartikel. Sie sind auch ein Land, in dem die Todesstrafe auf Bundesebene legal ist, aber hauptsächlich auf bundesstaatlicher Ebene bei Kapitalverbrechen wie Mord angewendet wird. US-Gefängnisse verhängen routinemäßig lang andauernde Einzelhaft, was von der UNO als eine Form der Folter anerkannt wird. Die Latte, um eine "grausame und ungewöhnliche Bestrafung" nachzuweisen, hängt somit außerordentlich hoch.

Reiche ernähren sich vom Blut der Armen

Eines der Hauptargumente der Befürworter des Gesetzentwurfes ist, dass Gefangene derzeit keine Möglichkeit haben, Organe zu spenden, selbst wenn sie dies wünschen würden. Das klingt nach einem glasklaren Fall. Sollten sie dieses Recht nicht auch ausüben dürfen, wenn alle anderen es dürfen? Und was spricht dagegen, ihnen dieses Recht zu verleihen – vor allem, wenn es der Allgemeinheit zugutekommt, einschließlich jenen Menschen auf den ellenlangen Wartelisten für Organspenden in Massachusetts?

Leider ist das leicht vorhersehbare Problem, dass dies Menschen dazu verleiten wird, Organe, also Teile ihres Körpers, für ein bisschen Freiheit buchstäblich aufzugeben. Das ist von Natur aus unmoralisch. Die Menschen, die in US-Gefängnissen eingesperrt sind, gehören in unverhältnismäßig hoher Mehrzahl zu ethnischen Minderheiten, unterliegen entsetzlichen Haftbedingungen und haben kaum Zugang zu Sozialhilfe oder Rehabilitation.

Dies ist einer der Hauptgründe, warum die USA die höchste Rückfallquote bei Straftätern der Welt haben. 76 Prozent der freigelassenen Gefangenen werden innerhalb von fünf Jahren erneut straffällig und werden festgenommen, während erstaunliche 44 Prozent sogar innerhalb von nur einem Jahr wieder ins Gefängnis müssen. Das gesamte System ist darauf ausgelegt, an ihm zu scheitern und die Menschen wieder ins Gefängnis zu bekommen. Was sie dann dazu drängt, ihre Organe zu spenden. Indes ohne finanzielle Entschädigung, sondern lediglich mit einer Reduktion des Strafmaßes als Gegenleistung.

Dies ist ein weiterer Schritt beim Abstieg der USA in der Horrorgeschichte namens Spätkapitalismus, wo, wie MacLeod es beschrieb, sich die Reichen vom Blut der Armen ernähren.

Aus dem Englischen.

Bradley Blankenship ist ein in Prag lebender US-amerikanischer Journalist, Kolumnist und politischer Kommentator. Er hat eine Kolumne bei CGTN und ist freiberuflicher Reporter für internationale Nachrichtenagenturen, darunter die Nachrichtenagentur Xinhua. Er twittert auf @BradBlank_

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