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Nach Nord-Stream-Sprengung: Experten befürchten Anschlag auf die TurkStream-Pipeline

Die Erdgasleitungen von Russland in die Türkei könnten dasselbe Schicksal erleiden wie die "Nord Stream". Dies befürchten türkische Experten nach den Enthüllungen des US-amerikanischen Journalisten Seymour Hersh. Gibt es ein Motiv und die technischen Mittel für einen Anschlag auf die "TurkStream"?
Nach Nord-Stream-Sprengung: Experten befürchten Anschlag auf die TurkStream-PipelineQuelle: Legion-media.ru © Aaw

Eine Analyse von Juri Sajnaschew

Das State Department gab am Donnerstag eine Erklärung ab, wonach die Vereinigten Staaten keinen Bezug zur Sprengung der Nord-Stream-Pipelines haben und bereit sind, dasselbe bei der Sitzung des UN-Sicherheitsrates nochmals zu betonen. Auf die Frage, ob die Vereinten Nationen bei der Untersuchung der Vorfälle beteiligt werden sollten, antwortete der Sprecher des Außenministeriums, Ned Price, die Explosion habe sich außerhalb der Vereinigten Staaten ereignet und die Partner, in deren Gewässern die Explosion stattgefunden hat, sollten über die Mechanismen der Untersuchung entscheiden, berichtete TASS.

Der Vertreter des chinesischen Außenministeriums, Wang Wenbin, verzichtete darauf, die Vereinigten Staaten direkt der Beteiligung am Anschlag zu beschuldigen, wies aber auf etwas anderes hin: Allen westlichen Mainstream-Medien verschlug es plötzlich die Sprache, nachdem der mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Autor Seymour Hersh letzte Woche detailliert den Plan zur Sprengung von Nord Stream beschrieben hatte. Gemäß den Angaben von Hersh wurde dieses Verbrechen von den Vereinigten Staaten begangen. Wang Wenbin hat eine objektive Untersuchung der Bombardierung der Pipelines gewünscht, berichtete RIA Nowosti. Russland hat die Sprengstoffanschläge auf die Gaspipeline bereits als einen Akt des internationalen Terrors eingestuft.

Auslastung der Schwarzmeer-Pipelines gestiegen

Unterdessen haben die Enthüllungen von Hersh in Expertenkreisen Befürchtungen über das Schicksal der TurkStream geweckt. Wenn die USA der Hauptverdächtige sind, dann wird das Motiv verständlich: Die Versorgung Westeuropas mit blauem Treibstoff aus Russland soll unterbrochen werden. Daher wäre es nur logisch, "das Begonnene zu beenden".

Übrigens ist die Auslastung der Schwarzmeerroute in letzter Zeit gestiegen. Seit Anfang Februar hat Gazprom die Lieferungen nach Europa erhöht, wodurch TurkStream den ukrainischen Transit mengenmäßig übertroffen hat, berichtet Eadaily. Experten führen die erhöhten Lieferungen auf das kältere Wetter in Europa und den an die Börsennotierungen gebundenen Preis für russisches Erdgas zurück.

Angesichts dieser Tatsachen äußerten sich Experten besorgt über das Schicksal von TurkStream. Mehmet Perincek, Professor an der Universität Istanbul, erinnert sich, dass die Vereinigten Staaten und die Ukraine vor vier Jahren vereinbart hatten, ihre Bemühungen zu koordinieren, um den Bau der zweiten Leitung von TurkStream zu stoppen:

"Das entsprechende Protokoll wurde von Außenminister Mike Pompeo und dem ukrainischen Außenminister Pavlo Klimkin, der Washington im November 2018 besuchte, unterzeichnet. Der Wortlaut dieses Dokuments ist auf der Webseite des Weißen Hauses leicht zu finden. Wie Sie sehen können, legte die Ukraine seinerzeit keinen großen Wert auf die Beziehungen zur Türkei, wenn sie offen gegen unsere Interessen handelte.

Die Vermutung liegt nahe, dass Kiew und Washington auch heute noch ein solches Ziel verfolgen. In den ersten Jahren versuchten sie, den 'Stream' mit rein politischen Mitteln zu stoppen, sind aber neuerdings zu gewaltsamen Methoden übergegangen. Wie bereits berichtet, haben Terroristen des Kiewer Regimes im vergangenen Herbst versucht, die Pipeline in die Türkei zu sprengen."

"Die ukrainische Krise wird von den Amerikanern nicht nur gegen Russland, sondern auch gegen Europa eingesetzt. Sie wollen Europa das russische Erdgas entziehen und damit die Abhängigkeit von Amerika erhöhen. Zurzeit verkaufen sie ihr Erdgas über den Ozean, das viermal teurer ist als das russische. Das Volumen ist kleiner, der Preis ist höher, die Logistik viel komplizierter. Dennoch kauft es die EU", kann der Istanbuler Professor es nicht begreifen.

Anschläge auf türkische Pipelines nicht ausgeschlossen

Perincek schließt nicht aus, dass es in naher Zukunft einen terroristischen Anschlag auf die TurkStream oder die Blue Stream geben wird, eine Pipeline mit geringerer Kapazität, die seit 2003 ebenfalls Gas von Russland in die Türkei pumpt. "Ein solcher Angriff käme in der Wirkung einem Bombenangriff auf Ankara gleich. In jedem Fall wird Ankara seine Interessen hart verteidigen. Besonders jetzt, da die ganze Welt unter einer Energiekrise leidet und die Türkei es sich nicht leisten kann, eine solche Ressource wie diese wertvollen Erdgasleitungen zu verlieren", bemerkt der Politikwissenschaftler.

Man sollte sich die Chronologie in Erinnerung rufen: Am 22. September, also vier Tage vor den Explosionen an den Nord-Stream-Pipelines, berichtete der Sicherheitsdienst FSB, man habe einen Anschlag ukrainischer Spezialdienste auf eine Öl- und Gasanlage verhindert, die Energie in die Türkei und nach Europa liefert. Der Name der Anlage wurde nicht bekannt gegeben.

Am 10. Oktober, d. h. nach der Diversion in der Ostsee, gab Präsident Wladimir Putin bei einem operativen Treffen mit den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates bekannt, das Kiewer Regime habe versucht, einen Abschnitt von TurkStream zu sprengen. "All das ist durch objektive Fakten bewiesen, einschließlich der Aussagen der inhaftierten Vollstrecker dieser Terroranschläge selbst", sagte der Präsident damals. Drei Tage später informierte Putin seinen türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdoğan in einem persönlichen Gespräch über den versuchten Anschlag. "Gott sei Dank ist es nicht dazu gekommen", fügte Putin hinzu, während sein Sprecher Dmitri Peskow klarstellte: Der versuchte Terroranschlag fand auf russischem Territorium, auf dem Festland, statt.

Eine Diversion gegen TurkStream würde Ankaras Interessen schädigen und das Land seines "Status als größte Energiedrehscheibe im Nahen Osten" berauben, berichtete Hürriyet. Den Vermutungen der Zeitung zufolge würden die USA um jeden Preis versuchen, die Gaspipeline zu durchtrennen, die Russland über die Türkei mit Europa verbindet.

Noch im selben Herbst veröffentlichte die Zeitschrift National Interest eine Kolumne des Washingtoner "Falken" Michael Rubin, der ausdrücklich dazu aufrief, "nach der Nord Stream die TurkStream anzugreifen", die einzige Pipeline, die noch "russisches Erdgas nach Europa bringt". Die griechische Zeitung Athens News hatte berichtet, dass Rubin Verbindungen zu "Entscheidungsträgern" in den Vereinigten Staaten hat.

Sprengung von TurkStream wäre schwieriger

Weil der vom FSB gemeldete "Festland"-Anschlag scheiterte und weil die Erfahrung der Diversanten mit der Zerstörung der Nord Stream als Erfolg gewertet werden kann, ist es gut möglich, dass der nächste Terroranschlag auf die Pipeline im Schwarzen Meer stattfinden wird. Zu diesem Schluss kommen militärische Analysten in Moskau.

"Die Sprengung von TurkStream oder Blue Stream ist wesentlich schwieriger, weil das Schwarze Meer zehnmal tiefer ist. Während das Rohr in der Ostsee hundert Meter unter dem Meeresspiegel liegt, ist es im Schwarzen Meer einen Kilometer tief", erklärte der Reserve-Kapitän dritten Ranges Maxim Klimov gegenüber der Zeitung Wsgljad. 

"Das Rohr, das in der Region Krasnodar von der Küste ins Meer führt, erreicht sofort diese Tiefe. Auf dem Weg gibt es keine Untiefen. An die Oberfläche kommt die TurkStream bereits vor der Küste unweit von Istanbul, allerdings ist dort das Anbringen von Sprengstoff schwierig: Die Türken bewachen ihr Hoheitsgebiet streng und behalten alles genau im Auge. Hätten wir übrigens frühzeitig auch Maßnahmen zur Kontrolle der Pipeline in der Ostsee ergriffen, wäre ein Versuch der Diversion im Vorfeld entdeckt worden", beklagte der Experte.

Wie die Veröffentlichung von Hersh deutlich macht, waren es Taucher und keine Unterwasserfahrzeuge, die den Auftrag an der Nord Stream durchgeführt haben, erinnert Klimov. "Auf dem Grund des Schwarzen Meeres kann man aufgrund der Tiefe die Taucher vergessen. Außerdem muss man bedenken, dass es schwierig ist, ein Rohr einfach so zu sprengen, es hat seinen eigenen Schutz. Es bedarf einer sehr starken Ladung und einer präzisen Verlegung. Deshalb können Bathyscaphen für die Terrorakte eingesetzt werden. Diese funktionieren nur unter dem Schiffsboden und haben einen Arbeitsradius von höchstens 100 Metern. Es können auch Torpedos mit einer Reichweite von über 100 km eingesetzt werden. Es ist allerdings bequemer, eine solche Operation mit einem Tauchboot und einem Mann an Bord durchzuführen. Das erleichtert die Aufgabe erheblich", sagt Klimov. Laut dem Experten sind zwei NATO-Länder zu solchen Operationen in der Lage, die Vereinigten Staaten und das Vereinigte Königreich.

"Die Amerikaner haben Torpedos in einer Tiefe von eineinhalb Kilometern getestet. Das bedeutet, sie haben die gleichen technischen Möglichkeiten wie die Briten. Gleichzeitig ist es im Schwarzen Meer schwieriger, das von Hersh beschriebene Szenario zu wiederholen – die Minen wurden im Juni gelegt und erst im September gezündet", meint der Experte. "Weil die Tiefe groß ist, ist der Druck hoch. Anders als in der Ostsee ist es auf dem Grund des Schwarzen Meeres wahrscheinlicher, dass Wasser durch die Dichtungen und so weiter eindringt".

Türkischem Militär ist Anschlagsgefahr bewusst

Nach Angaben von Hersh explodierten in der Ostsee nicht alle Sprengladungen, sodass einer der Stränge von Nord Stream 2 erhalten blieb, erinnert der Experte. "Im Schwarzen Meer werden die Diversanten versuchen, nicht so lang zu warten, sondern die Sprengladung möglichst schnell zünden", vermutet er.

Dem türkischen Militär ist das Ausmaß der Gefahr in der Tat bewusst. Nach Informationen der türkischen Zeitung Evrensel hat die türkische Spionageabwehr am 26. September, nur wenige Stunden nach dem Terroranschlag in der Ostsee, die Sicherheitsmaßnahmen für die TurkStream und ihre Infrastruktur erhöht. Die türkische Marine hat die Kontrolle der maritimen Abschnitte der Energieinfrastruktur des Landes, einschließlich der neutralen Gewässer, intensiviert. Ferner wurde die Absicht angekündigt, innerhalb eines Monats eine Sondereinheit zu bilden.

Die Experten schließen auch nicht aus, dass Washington bei einer weiteren Naturkatastrophe versuchen wird, TurkStream zu zerstören. Die Vereinigten Staaten könnten TurkStream unter dem Deckmantel eines weiteren Erdbebens angreifen, erklärte der Militäranalyst Vladimir Prohvatilov gegenüber URA.RU. "Meines Erachtens sollte der Sicherheit der Pipelines erhöhte Aufmerksamkeit zukommen", fordert er auf. Laut Regnum wird eine neue Serie seismischer Erschütterungen in der Gegend von Istanbul erwartet – genau dort, wo der "Stream" aus dem Meer auf das Land kommt.

Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei Wsgljad.

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