Schmutziger Organhandel in der Ukraine – Wie wahr sind die Vorwürfe?
Von Wladislaw Sankin
Immer häufiger sprechen verschiedene russische Vertreter das Thema des illegalen Organhandels in der Ukraine an. Dabei beleuchten sie verschiedene Aspekte des Problems. Ukrainischen Soldaten würden heimlich Organe zur Transplantation entnommen, sagte etwa der Chef des russischen Sicherheitsrates Nikolai Patruschew Ende Juli und zuvor auch bereits im April. Die Ukraine habe auf dem Markt für illegalen Organhandel weltweit den ersten Platz inne, schrieb die Stellvertretende Duma-Sprecherin Anna Kusnezowa. Und die Sprecherin des russischen Außenministeriums Maria Sacharowa hat jüngst in einem Artikel direkt der ukrainischen Regierung eine Verwicklung in die Geschäfte mit menschlichen Organen vorgeworfen.
Es ist nicht ungewöhnlich, dass eine Konfliktpartei der anderen alle Übel der Welt unterstellt. Daher ist es denkbar, dass sich auch die russische Seite für Propagandazwecke einfach solcher Internetgerüchte und gezielt verbreiteter Lügen-Geschichten bedient, wie es auf der Gegenseite ganz oft der Fall war und ist. Schauen wir uns deshalb etwas genauer an, was zum Thema des illegalen Organhandels in der Ukraine bislang bekannt gemacht wurde.
Die erste große Erzählung zur Tätigkeit dort "schwarze Transplantologen" genannter Organhändler im Kontext eines bewaffneten Konflikts in der Ukraine tauchte bereits im Dezember 2015 im Internet auf. Auf diesen Bericht wird bis heute immer wieder verwiesen. Der Mann, der sich als geflohener Mitarbeiter des ukrainischen Geheimdienstes SBU nur von hinten der Kamera stellte, schilderte in einem 9-minütigen Video eine schaurige Geschichte über illegale Operationen zu Organentnahmen, die er angeblich selbst betreut hatte. Die Organe wären den getöteten Soldaten der ukrainischen Armee in der Zeit der Kämpfe um Debalzewo Anfang 2015 entnommen worden, woraufhin diese dann als vermisst gemeldet wurden. Deren Leichen wären entsorgt und an verschiedenen geheimen Orten verscharrt worden.
Auch Zivilisten, die beim Artilleriebeschuss starben oder schwer verletzt wurden, wären Opfer solcher Eingriffe geworden. Zu diesem Zweck seien angeblich Mitarbeiter eines militärischen US-Unternehmens und weitere Ausländer in die Ukraine eingereist. Die Organe sollten an Kunden im Ausland gehen. Auch der Ex-Präsident Georgiens Micheil Saakaschwili und dessen Frau Sandra Roelofs seien in diese Geschäfte verwickelt gewesen, sagte er. Der SBU hat auf Anfrage des US-Staatsenders Radio Liberty hin diese Vorwürfe dementiert. Sowohl zu dem Überläufer als auch zu den Details seiner Enthüllungen, beispielsweise zu genaueren Lokalisierung der Bestattungsorte von mutmaßlichen Opfern, gab es später keine weiterführenden Informationen, was auf eine mögliche Fälschung hindeutet.
Seit Beginn der russischen Militäroperation häufen sich jedoch weitere Berichte über die Tätigkeit solcher schwarzen Transplantologen im Kriegsgebiet. So stellte der Presseoffizier der Lugansker Volksmiliz Andrei Marotschko im Live-Stream einer RT-Sendung im Juli des letzten Jahres fest, dass in den Reihen der ukrainischen Truppen die schwarzen Transplantologen seit 2014 operieren. Demnach hätten nicht nur Personen aus dem ukrainischen Militär, sondern auch die militärisch-zivilen Verwaltungen in den ehemals ukrainischen Regionen Lugansk und Donezk mit dem Organhandel Geld verdient.
Er sagte auch, dass es 2014 noch möglich gewesen war, Leichen von Menschen mit entnommenen Organen zu finden, während die schwarzen Chirurgen sie heute sorgfältig entsorgen, indem sie unter anderem mobile Krematorien benutzen oder die Überreste mit Sprengsätzen zur Explosion bringen.
Einen ähnlichen Bericht gab es im Mai bei RIA Nowosti: Mitarbeiter des staatlichen ukrainischen Dienstes für Katastrophenmedizin, der zum ukrainischen Gesundheitsministerium gehört, würden heimlich Organe aus den Körpern der ukrainischen Soldaten entnehmen. Dies erklärte ein Vertreter der russischen Sicherheitsdienste unter Berufung auf eine Quelle in einem Militärhospital im ukrainisch kontrollierten Teil des Gebiets Cherson.
Mitarbeiter für Katastrophenmedizin kontrollierten die Ankunft von schwer verwundeten und toten Soldaten, "um die notwendigen inneren Organe zu entfernen", teilte die Quelle mit. Die Publikation schreibt, dass die Leichen der ukrainischen Kämpfer nach dem chirurgischen Eingriff im Krematorium des Krankenhauses verbrannt werden. Gleichzeitig erhalten die Angehörigen Bescheinigungen über die vermissten Personen.
Im Mai tauchte im Internet auch ein Video auf, das weiteren Stoff für Spekulationen zur Tätigkeit von "schwarzen Chirurgen" lieferte. Die nur gut 20 Sekunden dauernde Sequenz zeigt aus der Perspektive einer Go-Pro-Kamera folgende Szene: Ein ukrainischer Soldat betritt auf der Suche nach seinem Kameraden mit dem Rufnamen "Skif" zunächst den Vorraum eines improvisierten Feldlazaretts. Auf der linken Seite geht jemand in Tarnuniform an ihm vorbei in Richtung Ausgang, rechts unten liegt ein in eine Decke eingewickeltes Objekt, von der Länge und Form her vermutlich ein menschlicher Körper. Vor dem Eingang in einem weiteren Zeltbereich steht ein Wachsoldat, ist aber mit seinem Smartphone beschäftigt und hält den Soldaten mit der Kamera am Helm nicht auf.
In dem bewachten Abteil des Zeltes erhascht er den Blick auf drei Mediziner während einer Operation. "Ist Skif bei euch?", fragt der Soldat. Einer der Mediziner hält etwas in der Hand, das von der Größe her ein menschliches Organ sein könnte. "Du darfst nicht hier sein, raus, raus", schreit er in deutscher Sprache hysterisch-genervt, woraufhin der Wachsoldat den Eindringling durch Körpereinsatz aus dem Zelt hinausdrängt. Bei ihrem Wortwechsel reden beide "Surshik", einen umgangssprachlichen russisch-ukrainischen Dialekt.
Eine hundertprozentige Gewissheit, dass diese kurze Szene kein Fake sein könnte, gibt es nicht. Dennoch ist das Video, wie auch andere ähnlichen Inhalts aus dem Internet, mit äußerster Vorsicht zu genießen. Mehr Aufschluss als solche Videos könnten zu diesem Thema die "rechtzeitig" in Kraft getretenen Veränderungen in der ukrainischen Gesetzgebung geben, auf die Maria Sacharowa in ihrem Artikel auch verweist.
Denn neuerdings stellt die Organentnahme bei Soldaten unweit der Frontlinie laut dem ukrainischen Transplantationsgesetz – bei Beachtung nur einiger weniger Formalien – kein Delikt mehr dar. Das Transplantationsverfahren wurde ganz kurz vor Beginn der russischen Militäroperation (im Dezember 2021) erheblich erleichtert, was in der Ukraine damals auf Kritik stieß. "Tote werden nun zur Organentnahme zerlegt", schrieb das Portal Strana dazu.
So wurde etwa die Pflicht zu einer notariellen Beglaubigung einer persönlichen Ablehnung oder Zustimmung zur posthumen Organspende abgeschafft. Eine Person kann ihre Zustimmung gegenüber dem Transplantationskoordinator auch ohne Beglaubigung schriftlich oder sogar elektronisch erklären. "Dies könnte zu einem Schlupfloch für alle Arten von Organbetrug werden", kommentierte ein von Strana befragter Jurist.
Außerdem wurde die Bestimmung gestrichen, die die Entnahme von Organen eines verstorbenen Spenders beim Fehlen einer schriftlichen Einwilligung verbietet. Also gilt es nun die sogenannte grundsätzliche "Vermutung der Einwilligung": Wenn eine Person zu Lebzeiten nicht ausdrücklich erklärt hat, dass sie gegen eine Organspende ist, so können ihr posthum Organe entnommen werden. Medien weisen darauf hin, dass einer der Verfasser dieses Gesetzes, der Vorsitzende des Ausschusses der Werchowna Rada für Volksgesundheit, medizinische Versorgung und Krankenversicherung Michail Raduzkij, zu diesem Zeitpunkt Eigentümer des größten Netzes von Privatkliniken in der Ukraine war.
Organtransplantation ist ein vielversprechendes Medizinverfahren, das viele Menschenleben retten kann, es ist an sich also etwas ganz Gutes. Doch wegen der hohen Wartezeiten bei Bedürftigen, juristischer Schwierigkeiten bei der Organentnahme und der hohen Kosten hat sich ein global vernetzter Schwarzmarkt für illegalen Organhandel entwickelt. Das zeigt das Beispiel einer Statistik, auf die der US-Journalist Clayton Morris in einem Podcast aufmerksam macht: In einem der US-Staaten, in Oregon, werden etwa zehn Prozent aller Organtransplantationen über illegale Geschäfte abgewickelt.
Im rauen Kriegsalltag an der Front könnte schon mit einem Mittelmaß an krimineller Energie auf lästige Formalien verzichtet werden, wie etwa auf die Feststellung des Gehirntodes, auf die Benachrichtigung der Angehörigen usw. – im ohnehin korruptionsbeklagten ukrainischen Militärwesen ist das also mehr als nur möglich. Die enorme Zahl der Vermissten ist ein weiteres indirektes Indiz.
Das Land mit seiner in Bezug auf die Tätigkeit ausländischer Organisationen äußerst großzügigen Gesetzgebung galt schon lange vor Beginn der Ukraine-Krise als Terrain für Korruption und rechtliche Grauzonen, die auch Menschenhandel begünstigten. Sogar in der westlichen Presse und in den Berichten der US-Regierung wird dieses Problem regelmäßig thematisiert. Oft sind es die gleichen internationalen Netzwerke, die Prostitution, Menschenhandel, Kindesmissbrauch und Organhandel betreuen. Es gibt mehr als nur den berechtigten Verdacht, dass solche Banden in der Ukraine ausgerechnet jetzt besonders aktiv sind.
Vor dem Hintergrund solcher Berichte verdient folgender Gesetzentwurf die besondere Aufmerksamkeit. Er soll nun die Verwendung von Organen für Transplantationszwecke derjenigen Ukrainer verbieten, die bei Feindseligkeiten oder durch die Polizei getötet wurden. Der Text des Gesetzentwurfs wurde auf der Webseite des ukrainischen Parlaments am 14. Juli veröffentlicht.
In der Begründung dieses Gesetzentwurfs heißt es, das Verbot solle eingeführt werden, um möglichen Missbrauch und Manipulationen im Informationsraum vorzubeugen, insbesondere der Verbreitung von Falschinformationen und feindlicher Propaganda.
Nach Ansicht des leitenden Transplantologen Russlands kann die Verabschiedung des Gesetzentwurfs als Anerkennung der Tatsache gewertet werden, dass es in der Ukraine tatsächlich eine illegale Entnahme von Organen von Kämpfern gab. "Allein die Verabschiedung des Gesetzes ist ein indirekter Beweis dafür, dass der Staat die Tatsache solcher Verbrechen anerkennt", sagte der leitende Spezialist für Transplantationen des russischen Gesundheitsministeriums, das Akademiemitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften Professor Sergei Gauthier, in einem Kommentar für das Internetportal Regnum.
Wie der Professor erläuterte, wird jeder Soldat, der an einer Schusswunde oder einer anderen Verletzung stirbt, einer gerichtsmedizinischen Untersuchung unterzogen, was an sich schon die Möglichkeit einer Organentnahme zum Zwecke der Transplantation ausschließt. Laut Gauthier zeigt die Entnahme von Organen verstorbener ukrainischer Militärangehöriger die Korruption, die die Entwicklung einer "schwarzen" Transplantationsmedizin begünstigt.
"Ich kann sagen, dass die Entnahme von Organen und ihre anschließende Transplantation an den Empfänger technisch möglich ist, aber die Durchführung solcher Aktionen ist ein Kriegsverbrechen", schließt Gauthier.
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