Meinung

Eine Wohlfühlrede mit Hintergedanken

Wären die Zeiten anders, man könnte den Besuch des britischen Königs Charles III. getrost auf die Fotoseiten der Lektüre für Friseursalons verweisen. Aber vor dem Hintergrund des Gemenges aus Brexit und NATO-Krieg handelt es sich um einen hoch politischen Akt.
Eine Wohlfühlrede mit HintergedankenQuelle: www.globallookpress.com © IMAGO/Florian Gaertner/photothek

Von Dagmar Henn

Der Besuch des britischen Königs Charles III. ist nicht ganz so unschuldig, wie er auf den ersten Blick zu sein scheint, und er dürfte in Großbritannien noch auf einige Kritik stoßen. Das Publikum im Bundestag war von der Rede begeistert, die er dort heute halb auf Englisch und halb auf Deutsch hielt, hat es dabei aber geschafft, den einen Punkt, der wirklich bedeutend ist, nicht einmal zu bemerken.

Es versteht sich von selbst, dass Charles Windsor diese Rede nicht selbst geschrieben hat, auch wenn der Sohn eines deutschen Vaters die Entscheidung, sie teils auf Deutsch zu halten, selbst getroffen haben dürfte. Solche Reden verfassen professionelle Redenschreiber, und keine Rede eines britischen Staatsoberhaupts wird gehalten, ohne von der jeweiligen britischen Regierung abgenommen zu sein.

Insofern ist auch die Erwähnung von Monthy Phython und Kraftwerk weit eher Teil einer Charmeoffensive der Regierung Rishi Sunak als Ausdruck persönlicher Vorlieben des britischen Monarchen. "Ob der König tatsächlich Kraftwerk-Alben besitzt oder ein Redenschreiber Google abgefragt hat – das wird nie bekannt werden," kommentierte das die BBC. Oder, wie es Reuters betont, "die britische Regierung trifft die letzliche Entscheidung über solche Staatsbesuche, die Teil ihres Gebrauchs der "soft power" der Monarchie bilden."

Natürlich war auch in dieser Rede der "russische Angriffskrieg" Thema und wurde die Unterstützung für die Ukraine beteuert, und natürlich hatten auch die Bundestagsabgeordneten kein Problem damit, trotz der Tatsache, dass es der britische Premier Boris Johnson war, der die Friedensverhandlungen in Istanbul im vergangenen Frühjahr torpedierte. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte sogar in seiner Rede beim Begrüßungsbankett am Vorabend noch einmal betont, "Deutschland und das Vereinigte Königreich sind heute, also militärisch, die beiden größten Unterstützer der Ukraine in Europa." Als wäre es eine Unterstützung der Ukraine, für eine Verlängerung des Krieges zu sorgen; aber in dieser Hinsicht ist Charles zumindest nur der Überbringer der Nachricht, nicht der Absender.

Ursprünglich war vor dem Besuch in Deutschland ein Halt in Paris geplant; der Frankreich-Besuch wurde abgesagt, weil Macron mit seiner Rentenreform das Land gerade erfolgreich in Brand gesetzt hat. So wurde Deutschland zur ersten Adresse, und das Gewicht des Auftritts wurde durch die Sprachwahl noch einmal verstärkt; eine Tatsache, die bei den Anhängern des Brexit auf wenig Gegenliebe stoßen dürfte. Schließlich ist es eine diplomatisch durchaus nicht unproblematische Geste.

Bei der britischen Auseinandersetzung um den Brexit ging es klar auch um britische Souveränität und deren Verlust durch die EU; die gegenwärtige Regierung Sunak würde allerdings den Brexit gerne rückgängig machen. Noch einmal Reuters: "Die Reise als solche war ein klares Zeichen für die Bemühungen des britischen Premierministers Rishi Sunak, die Beziehungen mit Europa wieder herzustellen, sagte Anand Menon, Direktor der akademischen Denkfabrik UK in a Changing Europe." Großbritannien sei, das erwähnt Reuters ebenfalls, als Handelspartner Deutschlands vom fünften auf den elften Rang zurückgefallen.

Dass die Mitglieder der Familie Windsor selbst eher zu den Gegnern des Brexit gehören dürften, muss angesichts der vielfachen familiären Beziehungen nach Deutschland seit der Übernahme der britischen Krone durch das Haus Hannover im 18. Jahrhundert nicht wundern. Die normale britische Bevölkerung sieht die Sabotage des Brexit-Entscheids durch die britischen Eliten, erst recht gar dessen Rückabwicklung, die mit diesem Besuch vorbereitet werden soll, mit Unwillen.

Neben der übereifrigen Anwesenheit staatlicher Würdenträger bei diesem Anlass gab es noch einige weitere Merkwürdigkeiten. So wurde an einer Stelle der Rede, an der es um Innovationsfähigkeit ging, von "zahllosen Menschen in Westdeutschland und dem Vereinigten Königreich" geredet; ein Lapsus, der den Schreibern wohl durch die Korrektur gerutscht ist – wobei man feststellen muss, dass auch sonst die Geschichte der staatlichen Beziehungen zwischen Großbritannien und Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg, so, wie sie in der Rede dargestellt wurde, nur eine zwischen der Bundesrepublik und Großbritannien war und der andere deutsche Staat nicht exisitiert zu haben scheint; aber das dürfte im heutigen Bundestag auch niemand monieren.

Eigenartiger war noch ein anderer Moment, als Charles zu seinem anstehenden Programm in Hamburg kam. Wenn man die Berichterstattung des Guardian zu diesem Thema betrachtet, wird klar, dass die Redenschreiber eigentlich an zwei Punkten Applaus erwarteten. Der erste Punkt ist sein Besuch im Hamburger Bahnhof, um an die Evakuierung jüdischer Kinder 1938 zu erinnern; eine Tatsache, die schon in der einleitenden Rede von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas vor dem Auftritt des britischen Königs besonders hervorgehoben wurde (eine Rede, deren euphorische Betonung des britischen Beitrags zur Befreiung vom Nazifaschismus vor allem deshalb schräg klang, weil eben solche Töne in Bezug auf die Sowjetunion, die immerhin den größte Anteil daran hatte, mittlerweile nicht mehr zu hören sind). Auf diese Ankündigung erfolgte der erwartete Applaus.

Der zweite Punkt, genau derjenige, den der Guardian besonders betont, ist eine geplante Kranzniederlegung in St.Nikolai zusammen mit dem deutschen Bundespräsidenten, um an die Opfer des Hamburger Feuersturms im Sommer 1943 zu erinnern, der damals mindestens 34.000 Menschenleben kostete, viele davon nach Hamburg verschleppte Zwangsarbeiter. Die Bombardierung deutscher Städte war nicht weniger ein Kriegsverbrechen wie die Bombardierung britischer, und diese Kranzniederlegung ist eine Anerkennung dieser Tatsache; nur den Mitgliedern des Bundestages entging die Bedeutung völlig, es rührte sich keine Hand.

Die freundliche Maske des untergegangenen britischen Empire, die das britische Königshaus darstellt, wird wohl vor allem deshalb in Deutschland mit Zuneigung betrachtet, weil man sich in der Verteidigung der kolonialen Ordnung einig ist, aber selbst ohne eine derartige Dekoration auskommen muss. Die Opfer dieser kolonialen Ordnung hegen für britische Könige nicht mehr Sympathien als für britische Premierminister, deutsche Bundeskanzler oder US-Präsidenten, und es müsste nicht wundern, wenn in China oder Russland dieser Besuch Erinnerungen an Edward VIII. weckt, den Großonkel von Charles III., der 1936 wegen seiner Sympathien für Nazi-Deutschland zurücktreten musste. Schließlich verkörpert die gegenwärtige westliche Kriegskoalition, die mit diesem Besuch eben auch zelebriert wird, genau das Bündnis, das die Nazis gerne gehabt hätten, an dessen Bildung sie aber scheiterten.

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